Einige Gedanken der Interpretin...

1. Warum ich diese Musik spiele?

Ich bin ein Trüffelschwein, ewig auf der Suche nach vergrabenen Schätzen. Es gibt so vieles zu entdecken! Ich meide ausgetretene Pfade, hinterlasse lieber Spuren im Neuschnee. Und bin einfach NEUGIERIG! Wen gab es noch zwischen Brahms und Mahler? Wen haben die Großen gehört und gekannt? Waren die Stars nur unter sich? Oder gab es Gestalten, die unermüdlich Inspiration geliefert haben, ohne selbst im Zentrum des Ruhms zu stehen? Aus was bestand der musikalische Humus, der Nährboden dieser Zeit? Gibt es eine Art „Missing Link“ zwischen den beiden Titanen? Bei meiner Suche bin ich auf einige gestoßen. Das Klavierwerk der Luise Adolpha Le Beau habe ich gerade eingespielt. Aber dann kam ich auf IHN - URSPRUCH!

Zu Anton Urspruch:

Beim ersten Durchspiel-VERSUCH: Staunen, Ratlosigkeit. Faszination.

Technisch: So schwer, rein pianistisch, das ich erst einmal nur eine Ahnung von der Musik, aber keinen beschreibbaren Eindruck bekam. Was schwer daran ist? Zum einen ganz einfach die riesige Menge der Noten. Es ist ein äußerst dichter Satz. Zum anderen schreibt er „nicht pianistisch“. Um das mal so zu erklären: Virtuose Stücke sollten schwer klingen, aber relativ angenehm zu spielen sein. Urspruch hat da wohl was falsch verstanden: Es ist bei ihm genau umgekehrt. Die virtuosen Figuren sind extrem unbequem, und um eine Wirkung zu erzielen muss man hart daran arbeiten. Kein Vergleich mit seinem Lehrer Liszt! Der wusste viel besser, wie man pianistisch-kompositorisch Effekte erzielt.

Harmonisch: Ein Urwald, der reinste Dschungel. Undurchdringlich und dunkelgrün. Im Ernst: Sehr komplexe harmonische Strukturen. Kann ich nicht genau beschreiben - muss man hören. Das Klangergebnis: Sinnlichkeit, Rausch und Ekstase. Aber auch Mystik, Hermetik und Verzicht. Ich weiß nur: Ich bin vollkommen süchtig nach dieser Musik!

Melodisch: Urspruch schreibt Stellen von herzzerreißender Schönheit. Man hört seine Liebe zur Gregorianik, oder - abstrakter- zur melodischen Reinheit. Er schreibt Stellen von ekstatischer Strahlkraft. Und zerstört sie wieder.

Der Mensch

Urspruch fasziniert mich auch, weil er so gnadenlos kompromisslos war. Er hat den Markt nicht bedient! Hätte er eine kluge PR-Beraterin gehabt, hätte die ihm geraten, ein paar Stücke für den Hausgebrauch zu schreiben, damit man ihn kennen lernt und seine Noten kauft. (Wie Grieg mit seinen Lyrischen Stücken zum Beispiel - er ist so international bekannt geworden.)
Alles, was Urspruch geschrieben hat, war so höllisch schwer (außer den Deutschen Tänzen), dass man sich einfach nicht die Mühe machte, seine Sachen einzustudieren. Und ihn so nicht kennen lernen konnte. Und wenn man nicht gespielt wird, wird man nicht bekannt, und wenn man nicht bekannt ist, wird man nicht gespielt....

Schlussplädoyer:

Ich habe mal mein Üben unterbrochen, zum Telefon gegriffen und Frau Prof. Dr. Veronica Kircher angerufen. Sie ist Urspuchs Enkelin, lebt in Münster und hat vor kurzen übrigens die Anton-Urspruch-Gesellschaft gegründet. Grund meines Anrufs: Ich müsse ihr jetzt einfach etwas beichten: „Frau Kircher, ich habe mich hoffnungslos in Ihren Großvater verliebt!“